Mit Leib und Seele: Ein sommerlicher Hirtenbrief zum Innehalten und zum Weiterdenken

Ostern – mitten im Sommer

Am 15. August, mitten in der Ferienzeit, feiern wir unser ältestes und größtes Marienfest. Wir feiern Ostern im Leben jener Frau, die uns Jesus geboren hat. Ohne diese Frau hätten wir Jesus nicht und an dieser Frau wird deutlich, was Ostern für uns alle bedeutet.

An diesem „Osterfest des Sommers“, wie schon mittelalterliche Theologen diesen Festtag nannten, wagt der Glaube der Kirche zu bekennen, dass „Maria nach Vollendung des irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde“. So heißt es im bislang letzten verbindlichen Glaubenssatz der Kirche, den Papst Pius XII. am Allerheiligentag 1950 verkündet hat.

Nicht Körperkult, sondern Bekenntnis zum Leib

Körperkult hat in unserer Zeit Hochkonjunktur. Nicht wenige Menschen nehmen viel auf sich, um einen möglichst perfekten Körper aufzubauen. Nicht selten wird uns ein Körperideal gezeigt, wo nur der gesunde, der junge, der schöne, der sportliche, der anziehende Körper „in“ ist. Andererseits ist nicht wenigen Menschen auch schmerzhaft bewusst, welche Gefahren damit verbunden sind, wenn man den eigenen Körper und damit auch sich selber, nur noch auf irgendwelche Idealvorstellungen reduziert. Gerade junge Menschen sind im Blick auf ihren Körper und ihre Persönlichkeit oft tief verunsichert, wenn sie diesen über­all präsenten Körper- und Schönheitsidealen nicht entsprechen können.

Leib ist mehr als nur Körper: Das ist unser Leben in Raum und Zeit, unsere Geschlechtlichkeit, unser Gesicht, unser Händedruck, unser Lachen und Weinen, unsere Erfahrungen, Haltungen und Beziehungen, unser Tun, unsere Entwicklung und unser Sterben müssen. Leib meint die Wunden, die uns geschlagen werden und die wir anderen schlagen. Unser Leib steht für unsere eigene Lebensgeschichte, für unsere Herkunft und für unsere Identität. Leibliche Aufnahme in den Himmel meint: der Leib hat mit dem Himmel zu tun, weil er mit dem Menschlichen des Menschen zu tun hat. Deswegen darf der Leib des Menschen nicht zu einem bloßen Objekt, zu einer bloßen Sache gemacht werden, die man nur mehr gebraucht. „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?“, fragt uns auch heute der Apostel Paulus (1 Kor 6,19).

Körperkult ist nicht christlich, aber auch Leibfeindlichkeit ist es nicht. Was wir am 15. August feiern, ist eine Konsequenz des christlichen Gottes- und Menschenbildes und ein christlicher Kontrapunkt zu Vorstellungen und zu Haltungen, die andere Menschen abwerten und erniedrigen – ganz gleich, um wen es sich handelt. Drei konkrete Anliegen können diesen Festtag aktuell und konkret machen:

1. Ein entschiedenes Nein gegenüber jeder Gewalt an Frauen

Der 15. August wird bei uns der „Hochunserfrauentag“ genannt. Das größte aller Marienfeste ist auch ein klares Ausrufezeichen gegen jede Gewalt an Frauen, die ein tagtäglich präsentes Thema ist. Gewalt gegenüber Frauen reicht von psychischer Unterdrückung bis hin zu schwersten körperlichen Angriffen. Die vielen Frauenmorde sind erschreckend und beschämend zugleich. Auch die sexuelle Ausbeutung ist eine schwere Verletzung der Würde der Frau. Zum Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt an Frauen am 25. November 2020 sagte Papst Franziskus: „Allzu oft werden Frauen beleidigt, misshandelt, vergewaltigt, zur Prostitution gezwungen, Wenn wir eine bessere Welt wollen, die ein Haus des Friedens und nicht Schauplatz für Krieg ist, müssen wir für die Würde jeder Frau viel mehr tun.”

2. Ehrfurcht vor jedem Menschen

Dieser Festtag lenkt unseren Blick auf Maria, die Mutter Jesu, den ersterlösten und vollerlösten Menschen. So groß denkt Gott selber vom Menschen. Es ist unmenschlich und unchristlich, klein, niedrig, abschätzig, gemein, wert- und würdelos vom Menschen zu denken und zu reden. Die neuen Medien geben uns mit vielen guten, hilfreichen und verbindenden Möglichkeiten auch Instrumente in die Hand, mit denen Menschen durch ihre Worte andere Menschen angreifen, an den Pranger stellen, schlechtmachen und gesellschaftlich ausgrenzen. „Shitstorm“ heißt eine Form der öffentlichen Hinrichtung heute. Und ein anderes Unwort lautet: „Fake News“ oder „alternative Wahrheiten“. Bewusst falsche Worte und Behauptungen werden in Umlauf gebracht. Das erzeugt Unsicherheit, Misstrauen, Verdächtigungen. Das vergiftet soziale, politische und persönliche Beziehungen! Die Verrohung der Sprache, das Verbreiten von Unwahrheiten, Halbwahrheiten und angstmachenden Verschwörungstheorien, verletzende, entwürdigende und anonyme Kommentare im Internet sind ein Indiz für eine gefährliche Entwicklung.

3. Wir sind Leib und Seele

Der Festtag der Aufnahme Marias in den Himmel ist ein Bekenntnis zum Leib, zur Erde, zur Schöpfung. Damit stimmt die Kirche einen weihnachtlich – österlichen Hymnus auf den Leib an und bringt ihn in Zusammenhang mit dem Göttlichen. Corona ist immer noch ein sehr präsentes Thema. Es geht um die Gesundheit des Leibes und damit um einen Bereich, der alle angeht und der in unserer Gesellschaft die Prioritätenliste anführt. Ohne Zweifel: Der Schutz der körperlichen Gesundheit, auch durch eine Impfung, ist notwendig, gut und wichtig – und auch Ausdruck von Verantwortung, Solidarität und Respekt. Corona konfrontiert uns aber auch mit einer Wahrheit, mit der unsere Gesellschaft sich besonders schwertut: Menschliches Leben ist und bleibt verletzlich, gefährdet, anfällig und sterblich – vor und auch nach Corona. Wie schaut es aus mit dem Schutz unserer Seele? Welche „Impfung“, welche Pflege, welche Aufmerksamkeit braucht unsere Seele? Tun wir genug dafür, dass unsere Seele gesund bleibt? Wenn wir es wieder lernen Grenzen anzuerkennen, dann lernen wir das Leben selber. Wenn wir wieder verstehen, dass das Sein wichtiger ist als das Haben und das Immer-mehr-haben-wollen, kommen wir dem Geschenk und dem Geheimnis des Lebens wieder näher. Wir sind nicht nur Leib, sondern auch Seele! „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?“, fragt uns Jesus selber (Lk 9,25). Nicht die Länge unseres irdischen Lebens ist entscheidend, sondern wie wir leben! Hat Corona die Kraft, uns menschlicher zu machen? Von allein sicher nicht. Dazu braucht es unsere Entscheidung, die Prioritätenliste unseres Lebens und unserer Gesellschaft zu überdenken und wohl auch zu korrigieren. Und das täte Mensch und Schöpfung gut.

Maria als Zeichen der Hoffnung und des Trostes

Im Magnifikat, im Lobgesang Marias, ist uns das Leitmotiv dieses Festtages geschenkt: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter“ (Lk 1,47-48). Denken wir groß von Gott. Denken wir groß vom Menschen. Denken wir groß über unsere eigene Zukunft.

„Der Herr ist wahrhaft auferstanden“: Dieses Osterbekenntnis ist die Initialzündung des christlichen Glaubens. Die Aufnahme Marias in den Himmel zeigt uns, was auch uns durch Jesu Tod und Auferstehung geschenkt ist: Das Ostern der Menschen, unser Ostern, hat begonnen. Wir sind geschaffen und gewollt für den Himmel – mit Leib und Seele.

Einen herzlichen Sommergruß und einen hoffnungsvollen Segen zum „Osterfest des Sommers“

Bischof Ivo Muser

Quelle:
Deutsch: https://www.bz-bx.net/de/news/detail/mit-leib-und-seele-ein-sommerlicher...
Italienisch: https://www.bz-bx.net/it/news/dettaglio/in-anima-e-corpo-lettera-pastora...
Grödnerisch: https://www.bz-bx.net/de/news/detail/cun-corp-y-ana-letra-pasturela-da-d...
Gadertalerisch: https://www.bz-bx.net/de/news/detail/letra-pastorala-15-08-2021-gadertal...