Gottesnähe und Gottesferne - Teil 2 (11.5.20)

Gottesnähe und Gottesferne gehören zusammen. Beides kann gleichzeitig wahr sein – Gott kann uns ganz nahe, aber auch ganz fern sein! Menschen in der Bibel hatten das Gefühl, dass Gott an einem Punkt ihrer Lebensreise weit von ihnen entfernt war. Denk an den gerechten und gottesfürchtigen Hiob, den ein Schicksalsschlag nach dem anderen trifft. Denk an Joseph, der in die Sklaverei verkauft wurde. Denk an Moses, der niemals das Gelobte Land betreten durfte. Denk an Jeremia, der mit tödlichem Hass verfolgt wurde, als er im Auftrag Gottes auftrat. Und dann schau auf Jesus selbst, der fragte: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
(Mt. 27,46).

In dieser Verlassenheit erfährt Jesus – stellvertretend für uns alle – die tiefste Ferne Gottes. In dieser Verlassenheit ist Gott uns am nächsten - denn wir wurden durch seinen Tod gerettet - und Jesus am fernsten. Im Buch Jeremia stellt Gott eine rhetorische Frage über sich: „Bin ich nur ein Gott aus der Nähe – Spruch des Herrn – und nicht auch ein Gott aus der Ferne?“ (Jer. 23,23).

Jesus lebte in Gemeinschaft mit Gott und war Gott, seinem Vater, nahe. Deshalb klagt er am Kreuz über die Gottesferne, die er erfährt. Die Menschen, die Gott nahestehen, klagen Gott ihr Leid. Sie behalten es nicht für sich oder wenden sich wortlos von Gott ab. Vielmehr suchen sie die Konfrontation mit ihm, ringen mit ihm wie Hiob. Auf diese Weise blieb Hiob Gott treu. Und er hielt bis zum Schluss an seiner Meinung fest: „ Wenn wir das Gute von Gott annehmen, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen“? (Hiob 2,10). Jeremia hat in seiner bedrückenden Lage Gott angeklagt (Jer. 11,20), er habe ihn im Stich gelassen. Und Gott hat ihm auf seine Klage hin geantwortet: „Wenn du zu mir hältst, will ich zu dir halten ..., denn ich bin bei dir, dass ich dir helfe und dich errette“ (vgl. Jer. 15, 19a & 20b).
Dieses Angebot gilt auch für dich. Du darfst Gott dein Leid klagen und deine Gedanken, dein Unverständnis und deinen Ärger vor ihn bringen. Er sucht diesen Kontakt zu dir, besonders im Leid. Wie ist das bei dir? Treibt dich dein Leid in die Arme Gottes oder von ihm weg?

Sei lieb gegrüßt und gesegnet! Herzlichst, Dekan P. Mathew msfs